Kapitalismus und unsichere Positionen von Minderheiten

Kapitalismus und unsichere Positionen von Minderheiten

Veranstalter
Anna-Sophie Schönfelder und Dr. Laura Tittel, Fachgebiet Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen (in Kooperation mit: Teilprojekt „Zwischen Minderheitenschutz und Versicherheitlichung. Die Herausbildung der Roma-Minderheit in der modernen europäischen Geschichte“ des DFG-Sonderforschungsbereichs „Dynamiken der Sicherheit“; und Sektion „Menschenrechte und Demokratie“ des Gießener Graduiertenzentrums für Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften)
Ausrichter
in Kooperation mit: Teilprojekt „Zwischen Minderheitenschutz und Versicherheitlichung. Die Herausbildung der Roma-Minderheit in der modernen europäischen Geschichte“ des DFG-Sonderforschungsbereichs „Dynamiken der Sicherheit“; und Sektion „Menschenrechte und Demokratie“ des Gießener Graduiertenzentrums für Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften
Veranstaltungsort
Justus Liebig-Universität Gießen, Margarete-Bieber-Saal, Ludwigstr. 34
Gefördert durch
Deutsche Forschungsgemeinschaft, Sonderforschungsbereich "Dynamiken der Sicherheit"
PLZ
35390
Ort
Gießen
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
04.11.2024 - 05.11.2024
Deadline
30.05.2024
Von
Anna-Sophie Schönfelder

Kapitalismus und unsichere Positionen von Minderheiten

Gesucht werden Beiträge für einen 15- bis 20-minütigen Vortrag im Bereich der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung zum Thema: Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus durch die Brille materialistischer Kritik betrachtet

Capitalism and Insecure Positions of Minorities

We are looking for abstracts for a 15- to 20-minute presentation in the field of social theory. The workshop deals with seeing racism, anti-Semitism, and antigypsyism through the lens of materialist critique.

Kapitalismus und unsichere Positionen von Minderheiten

Minderheiten stehen in der Theoriebildung zu sozialer Marginalisierung und Exklusion in doppelter Hinsicht auf unsicheren Positionen: Zum einen ist die tatsächliche Unsicherheit ihrer Positionen in der Gesellschaft Ausgangspunkt und zu erklärendes Phänomen für die Forschung. Zum anderen sind Minderheiten aber auch innerhalb der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung unsicher situiert. Der Workshop nimmt theoretische Ansätze in den Fokus, die Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus vor dem Hintergrund kapitalistischer Dynamiken analysieren. Eine Stärke solcher Ansätze ist ihr Anspruch, die unsicheren Positionen von Minderheiten im Kontext materieller, gesellschaftlicher Strukturen zu erklären, statt sie allein auf Vorurteile zurückzuführen. So kann sichtbar gemacht werden, wie die ideologische Verortung von Minderheiten an jeweils spezifischen Positionen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, etwa als „ausbeutbarer Schwarzer”, „rückständige Muslima“, „geldgieriger Jude“ oder „bettelnde Zigeunerin“, legitimiert, dass Menschen den Zwängen der Kapitalverwertung zu ungleichen Bedingungen ausgesetzt sind. Allerdings fällt an aktuellen Entwicklungen in der kapitalismuskritischen Theoriebildung zu Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus auf, dass die Analysen der verschiedenen Ideologien weitgehend isoliert verlaufen, sie für die jeweils anderen Ideologien blind werden oder diese sogar reproduzieren. Denn allzu leicht wird übersehen, dass sich Angehörige aller Minderheiten in prekären und unsicheren gesellschaftlichen Positionen befinden können.
Der Workshop soll eine konstruktive Gegendynamik erzeugen, indem er ein Forum für Diskussionen darüber schafft, inwiefern verschiedene kapitalismuskritische Theorien der Marginalisierung und Exklusion von Minderheiten sich gegenseitig bereichern können. Um dem Antisemitismus, dem Rassismus und dem Antiziganismus als je eigener Herrschafts- und Ideologieform gerecht zu werden, bedarf es zwar ihrer separaten Untersuchung. Zugleich ist jedoch auch die Zusammenschau notwendig, um ihre Unterschiede herauszuarbeiten und in Beziehung zum Kapitalismus zu setzen. Das Vorhaben ist also komplex. Umso mehr wären die drei Forschungsfelder angehalten, die methodischen Prämissen und Erkenntnisse der je an-deren nachzuvollziehen.
Das epistemologische Potential einer solchen gegenseitigen Bereicherung wird bislang jedoch kaum genutzt. In den meisten Beiträgen zu Racial Capitalism, die das Augenmerk auf konkrete soziale Hierarchien und deren Auswirkungen auf die materiellen Lebensbedingungen Rassifizierter legen, taucht das Thema Antisemitismus nicht auf. Teilweise bedienen sich simplifizierte Erklärungen des Racial Capitalism sogar antisemitischer Stereotype. Daneben gibt es Antisemitismus-Forscher:innen, die etwa im Anschluss an die ältere Kritische Theorie versuchen, ihren Gegenstand aus der kapitalistischen Vergesellschaftung heraus zu verstehen und ihn auf eine fehlgeleitete, personifizierte Kapitalismuskritik zurückführen. Rassistisch strukturierte soziale Ungleichheit bleibt hierbei häufig unterbelichtet. Im Schatten dieser Diskussionen steht als relativ junges Sachgebiet die materialistische Antiziganismusforschung. Hier sind im deutschsprachigen Raum sowohl Perspektiven der subjekttheoretischen Analyse des Antisemitismus als auch der Kapitalismuskritik nach Marx eingeflossen. Solche Theorien des Antiziganismus ergänzen anthropologische und vorurteilsbezogene Herangehensweisen, sind jedoch bisher wenig ausgebaut.
Im Workshop soll herausgearbeitet werden, auf welche Weise kapitalistische Akkumulations- und Subjektivierungsformen berücksichtigt werden müssen, um den Besonderheiten von Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus in der Theoriebildung gerecht zu werden.

Wir suchen Beiträge, die einzelne oder mehrere der folgenden Fragen behandeln oder verwandte Themen bearbeiten:
1) Wie können sich materialistische Ansätze der Rassismus-, Antiziganismus- oder Antisemitismuskritik gegenseitig bereichern? An welchen Stellen hat eine gemeinsame Betrachtung ihre Grenzen?
2) Ist das Konzept Racial Capitalism geeignet, um sich den Phänomenen Antisemitismus und Antiziganismus zu nähern? Wo gibt es Anknüpfungspunkte?
3) Wie ist es zu erklären, dass in Beiträgen zu Racial Capitalism auf antisemitische Stereotype zurückgegriffen wird?
4) Wie kann der Anspruch materialistischer Theorie auf genaue Begriffsarbeit und Ideologiekritik mit einer Theoriebildung vermittelt werden, der es um Hierarchien zwischen sozialen Gruppen geht?
5) Wie sind in einer materialistischen Analyse des Antiziganismus die Stärken verschiedener Theoriestränge aus Antisemitismus- und Rassismusforschung produktiv zu verbinden?
6) Kann eine kapitalismuskritische Perspektive die verschiedenen Ideologien, die sich gegen soziale Minderheiten richten, als komplementär zueinander ausweisen?

Bitte senden Sie Abstracts in deutscher oder englischer Sprache mit maximal 400 Wörtern für einen 15- bis 20-minütigen Vortrag bis zum 30.05.2024 ein. Benachrichtigung über die Auswahl der Beiträge erfolgt bis zum 30.06.2024. Die Vorträge und Diskussionen finden auf Deutsch oder Englisch statt. Für Vortragende können Reise- und Übernachtungskosten teilweise übernommen werden.

Bestätigt sind Beiträge von: Ulrike Marz, Lukas Egger, Christine Achinger, Floris Biskamp, Randi Becker und Tobias Neuburger

Capitalism and Insecure Positions of Minorities

Theorizations of social marginalization and exclusion place minorities in a position of insecurity in two respects: On the one hand, the actual insecurity of their positions in society is a starting point for research and a phenomenon to be explained. On the other hand, minorities are also insecurely situated within the theories used in social sciences. The workshop will focus on theoretical approaches that analyze racism, anti-Semitism, and antigypsyism against the background of capitalist dynamics. Such approaches are strong in that they explain the insecure positions of minorities in the context of material, social structures rather than attributing them solely to prejudice. They show how the ideological localization of minorities in specific positions within capitalist society, for example as “exploitable blacks”, “backward Muslims”, “money-grubbing Jews” or “begging gypsies”, legitimizes the fact that people are exposed to the pressures of expanding capitalist value on unequal terms. Yet what is striking about current capitalism-critical theorizing on anti-Semitism, racism, and antigypsyism is that the analyses of the different ideologies are largely detached from one another, they become blind to the other ideologies, or even reproduce them. It is all too easy to overlook the fact that members of all minorities can find themselves in precarious and insecure social positions.
The workshop aims at generating a constructive counter-dynamic by providing a forum for discussion on how different theories of marginalization and exclusion of minorities that are critical of capitalism can enrich each other. In order to do justice to anti-Semitism, racism, and antigypsyism as specific forms of domination and ideology, they need to be examined separately. At the same time, however, it is also necessary to look at them together in order to work out their differences and relate them to capitalism. Therefore, the project is complex. All the more reason for the three fields of research to reflect on each other's methodological premises and findings.
However, the epistemological potential of such mutual enrichment has hardly been exploited to date. In most contributions on Racial Capitalism, which focus on concrete social hierarchies and their effects on the material living conditions of racialized people, the topic of anti-Semitism does not appear. In some cases, simplified explanations of Racial Capitalism even make use of anti-Semitic stereotypes. There are also anti-Semitism researchers who, following early critical theory of the Frankfurt School, for example, attempt to understand their subject matter as a ramification of the capitalist form of society, and attribute it to a misguided, personalized critique of capitalism. This often leaves social inequality along racialized lines underexposed. In the shadow of these discussions is the relatively new field of materialist antigypsyism research. In German-speaking research contexts, perspectives from both the subject-theoretical analysis of anti-Semitism and Marx's critique of capitalism have been incorporated here. Such theories of antigypsyism complement anthropological and prejudice-related approaches, but have so far been little developed.
The workshop aims at exploring ways in which capitalist forms of accumulation and subjectivation can be taken into account in order to adequately theorize the particularities of anti-Semitism, racism, and antigypsyism.

We are looking for contributions that address one or more of the following questions or related topics:
1) In what ways can materialist approaches to the critique of racism, antigypsyism, or anti-Semitism enrich each other? Where does a joint approach have its limits?
2) Is the concept of Racial Capitalism suitable for approaching the phenomena of anti-Semitism and antigypsyism? Where are possible points of contact?
3) How is the use of antisemitic stereotypes in theories of Racial Capitalism to be explained?
4) How can we mediate the claim of materialist theory to precise conceptual work and a critique of ideology with other types of theory that are concerned with hierarchies between social groups?
5) How can the strengths of different theoretical strands in research on anti-Semitism and racism be productively combined as part of a materialist analysis of antigypsyism?
6) To what extent does a perspective critical of capitalism allow us to show that the various ideologies directed against social minorities are complementary to one another?

Please send abstracts in German or English with a maximum of 400 words for a 15- to 20-minute presentation by May 30, 2024. We will notify the applicants about the status of their submission by June 30, 2024. The lectures and discussions will be held in German or English. Travel and accommodation costs for speakers can be partially covered.

Ulrike Marz, Lukas Egger, Christine Achinger, Floris Biskamp, Randi Becker, and Tobias Neuburger have already confirmed their participation at the workshop.

Kontakt

Anna-Sophie Schönfelder (anna-sophie.schoenfelder@sowi.uni-giessen.de) und Dr. Laura Soréna Tittel (laura.tittel@sowi.uni-giessen.de)

https://www.uni-giessen.de/de/fbz/zentren/ggs/forschung/sektionen/menschenrechte/insecure-minorities